Lehre
Lehrende berichten
in: Meyer, Hans: Heiligendamm 1950 - 2000. Lehre im Wandel — die Geschichte des Studiengangs Innenarchitektur und der Fachschule für angewandte Kunst Heiligendamm; Spütz, Guido: Berufung und Lehre, S. 140 ff., Wismar 2018
Foto: Klaus-Dieter Heim
Den Ruf nach Heiligendamm habe ich sehr gerne angenommen, weil ich von dieser Ausbildungsstätte sofort begeistert war. Die Gründe hierfür lagen in der selbstbewussten und mit hochqualifizierten Lehrkräften ausgestatteten, zugleich von der Größe her überschaubaren Lehrstätte für Gestaltung an diesem einzigartigen Ort Heiligendamm. Deutlich spürbar war hier ein vermutlich auch in den Widersprüchen des vorherigen politischen Umfeldes gewachsenen Identitätsgefühls der Lehrenden und Lernenden aller Disziplinen. Eine Alma Mater an einem Ort der immer schon geübten geistigen Freiheit, der Risikobereitschaft, sehr wacher Wahrnehmung und des Experimentes vorzufinden, schien eine ideale und mir willkommene Basis für die Weiterentwicklung einer Hochschule ohne Verschulungstendenzen und ohne die sich abzeichnenden rein ergebnisorientierten Reformbestrebungen der Wendezeit zu sein. Hier fand ich Möglichkeiten zur Realisierung meiner Lehrvision der interaktiven, fächerübergreifenden des zur Berufung anstehenden Lehrgebietes „ Entwerfen Innenarchitektur unter besonderer Berücksichtigung des Gebäudeentwurfs und der Baukonstruktion“.
Die zurzeit meiner Ankunft erst vollzogene Neugründung dieses Studiengangs ließ vermuten, dass mit diesem Berufungsfeld eine interdisziplinär auszurichtende Lehrvermittlung im Bereich Bau und Raum im Vordergrund stand, mit der auch die Voraussetzung zu einer erweiterten Bauvorlagenberechtigung der Absolventen gegeben werden sollte. Initiiert war diese Zielrichtung durch den Gründungsdekan Prof. Hans Meyer und in besonderer Funktion durch Prof. Klaus-Peter Görge von der HS Lippe-Detmold.
Nach dem Ruf an diese Hochschule konnte ich mein Vorhaben mit neuen Ansätzen in der Lehre beginnen. Jetzt als Lehrender dieser Hochschule konnte ich das Experiment wagen, etwas Ungewohntes in Gang zu setzen. Denn jede Hochschule steht in der permanenten Verantwortung und Verpflichtung Lehre und Praxis über den gewohnten Rahmen hinaus kritisch, zeitgemäß und zukunftsorientiert auszurichten.
Leitgedanken meiner Lehre waren:
Innenarchitektur und Architektur können nicht isoliert voneinander verstanden werden. Die Auseinandersetzung mit weiteren Disziplinen, die über ein bloßes Berühren hinausgehen und ein Bewusstsein für die jeweilige Grundproblematik schaffen, ist Voraussetzung für die Lösung komplexer Gestaltungsaufgaben.
Anstehende gesellschaftliche Problem Konstellationen müssen in ihrem Zusammenhang erkannt werden, um sie dann in konkrete Lösungsmöglichkeiten zu überführen.
Für die Lehre heißt das, Versuche zu unternehmen, die vielfältigen Bezüge, in denen einzelne Projekte oder Fragestellungen stehen, in ihren spezifischen Dimensionen aufzuzeigen und in Seminaraufgaben umzusetzen. Die Studierenden sollen je nach Neigung und Motivation einzelne oder mehrere Teilaspekte schwerpunktmäßig bearbeiten und thematisieren lernen, ohne die angrenzenden und weitergehenden Aspekte zu vernachlässigen. Dabei soll die Lehre insgesamt von der theoretischen über die konzeptionelle und zu entwerfende gestalterische Ebene hin zu Produkt und Detailentwicklung reichen.
Deswegen können interdisziplinäre, spielerisch kreative Workshops vor Beginn von themenbezogenen Seminaren und Projektarbeiten eine Initialzündung für die Bewusstwerdung der Komplexität einer Aufgabe und die Motivation für deren Lösung sein.
Der besondere Anspruch des Lehrgebietes war die ganzheitlich zu erfassende Aufgabe im Spannungsfeld von Bau und Raum, also der zu gestaltende Lebensraum. Die Qualität des Lebensraumes in und mit der gebauten Umwelt wird durch die Wahrnehmung gesellschaftlicher, ethischer und moralischer Verantwortung erreicht. Aus diesem Verständnis heraus bedingen sich Architektur, Innenarchitektur und Design gegenseitig und tragen gemeinsam Verantwortung für die gebaute Umwelt.
Für die Auseinandersetzung mit den im Bestand stehenden und neu zu schaffenden Gebäuden und Räumen ist es von Bedeutung,
dass in der Lehre die Verpflichtung besteht, Qualitäten der Architektur wie der Innenarchitektur und des Designs aus der Historie und der Gegenwart beispielhaft und kritisch betrachtend hervorzuheben,
dass Studierende die Fähigkeit erlangen, durch die Integration der Lehrfächer Werkstoffkunde, Gebäudelehre, Gebäudeentwurf und der Baukonstruktion, detaillierte Konzeptentwicklungen für die Gestaltung des umbauten und öffentlichen Raumes zu formulieren.
dass Studierende über die Innenraumgestaltung hinaus die Möglichkeit haben, sich auch der Themen der Architektur und der Stadtraumgestaltung zu bedienen, z.B. durch die Neuinterpretation einer bebauten Örtlichkeit bezüglich der Vegetation, der Topographie, der Materialien, der Farbe, des Lichtes, der Möbel usw.
dass Studierenden der Innenarchitektur bei einem Vorhaben der Umnutzung im Rahmen historischer oder neuzeitlicher Bausubstanzen vermittelt wird, innovative Konzeptideen in den Grenzen dieser Substanzen nicht zu reduzieren, sondern z. B. bei ergänzenden Massnahmen wie Erweiterungsbauten diese auch konzeptionell einzubeziehen. 1)
Ich bin froh, dass ich in Heiligendamm und später in Wismar die Gelegenheit hatte, solche grundsätzlichen Überlegungen in der Lehre zu verwirklichen.
Guido Spütz
1) Die Lehrinhalte der von mir vertretenen Fächer wurden als „Kommentarausgabe zum Lehrgebiet G. Spütz 1997“ an der Hochschule Wismar veröffentlicht und verhalfen den Studierenden einen fächerübergreifend differenzierten und nachvollziehbaren Studienüberblick.
Zwei Lehrexperimente als Beispiele folgen: