Lehre

Lernen und Lehren

Vom Lernen und Lehren – und weiterlernen

In einem meiner Schulzeugnisse stand in einer Zeile, unter meinen beschämenden Noten, ein Satz, den ich damals so empfand: Ich sei auch noch als ein total der Unfähigkeit des Lernens beschriebener Mensch in dieser Welt.

„Guido bedarf geistiger Impulse“, stand da geschrieben.

Dass dieser Satz auch den Lehrenden in seinem Berufsbild beschämend treffen könne, begriff ich erst viel später.

Es war nie mein Ziel, in den Bereich der Lehre zu schreiten. Gegen all das, was mit Schule und dem Lehren und Lernen in Verbindung stand, hatte ich schon aus historischen Gründen eine Aversion. Sicherlich war dies auch zu einem guten Teil der erlebten schwierigen Nachkriegszeit geschuldet.

Die Volksschule empfand ich jeden Tag als sinnloses Dasein, in einem Gefängnis sitzend vor einer Kulisse, in der ich jeden Morgen, mich davor rettend, den Vorhang gezogen habe. Verinnerlicht hatte ich längst die mir zugesprochene Sicht der Lehrenden, eine des Lernens unfähige Person zu sein. Emporklimmende Wunschträume, einmal Architekt werden zu können, wurden, wie ein Automatismus, als aussichtslos zur Seite gelegt. Ebenso die Vorstellung, jemals die Fähigkeit zu erlangen, für solch einen Werdegang ein Abitur bestehen zu können.

Zu meinem großen Glück gab es für mich die anvisierten Lehrinstitute – die Werkkunstschule in Krefeld und die Staatliche Hochschule für bildenden Künste in Berlin –, die, anlehnend an die Bauhauslehre, diese Lehre in den 60er Jahren neu zu interpretieren begannen.

An diesen Lehrstätten, zudem noch durch deren strenge Aufnahmeprüfungen, zugelassen zu sein, gelang es mir, meiner Fähigkeiten weiter bewusst zu werden. Es war für mich überwältigend, nun das Glück zu haben, durch ein Studium doch noch Architekt/Designer und mehr werden zu können. Diesen Hochschulen habe ich zu verdanken, meine Begabungen in der Kunst und in gestaltenden Disziplinen – und durch die vielen bis dahin erfolgten Lebens- und Arbeitsbereiche – als eine Wertschätzung auch für das weitere Berufsleben erfahren zu haben.

Während des Studiums Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre befassten wir, die Studierenden und einige Professoren und Professorinnen, uns nicht nur mit der heranwachsenden Gesellschaftskritik, sondern auch mit der Reform der Hochschullehre in diesem Kontext. In den Seminaren gelangten wir zu beachtlichen Erkenntnisse in einem ungewohnt neuen Prozess des Denkens und Bewusstwerdens. Es war für uns logisch, dass Architektur, Design und Kunst nicht nur reine Funktions- und Gestaltungsaufgaben sein können, sondern immer auch eine eminente politische Dimension haben.

Die hier gemachten Grunderfahrungen im Lehren und Lernen motivierten mich, in allen Bereichen meines Tuns, die Zusammenhänge entdecken zu wollen und die gesellschaftliche Relevanz neugierig zu analysieren, um hieraus innovative und zukunftsorientierte Themen zu definieren. Es galt hier auch Strategien zur Umsetzung im allzu festgefahrenen rein marktorientierten Denken zu entwickeln, um den schon ablesbaren Auswirkungen entgegenzutreten.

Diese Hochschulerfahrungen Ende der 60er und Anfang der 70er Jahren und die schon vorher erlebten vielfältig wertvollen beruflichen Erfahrungen – bereits vor meinem Studium und danach – sind dann die entscheidenden Zündungsimpulse geworden, um mich für die Lehre an der Hochschule zu interessieren.

Eine große Verwunderung über die Vielfalt der Themen meiner Erfahrungsbereiche – auch in experimenteller Hinsicht – erreichte mich, als ich durch die erste Anfrage einer Hochschule gezwungen war, meinen Werdegang mit dem beruflichen Potential zu analysieren und zu dokumentieren. Dabei sind die Begegnungen und Auseinandersetzungen mit Persönlichkeiten aus Kunst und Gesellschaft, die vielfach gewohnt waren einen Blick nach vorne zu formulieren und die für mich wesentliche und nachhaltige Prägungen auf mein Tun hatten, nicht einmal einbezogen.

Überrascht hatten mich die Einladungen zweier Hochschulen zu Probevorträgen über drei anstehende Lehrfächer für eine Professur. Dabei wurde mir langsam bewusst, dass ich für ein Lehrvolumen aus vielschichtigen Studien- und Praxiserfahrungen und neuen Lehransätzen schöpfen könnte – in meiner Mehrfachfunktion als Architekt, Designer, Innenarchitekt, Bühnenbildner, Tischler, Kaufmann, Gesellschafter und Geschäftsführer eines Produktionsbetriebs  und empathiebeseelter kritischer Vor- und Nachdenker.

Was mir in der Einladung zum Probevortrag an der Hochschule Wismar gefiel, war die geforderte Einreichung von Thesen zu meinen Lehrvorstellungen, die sich als Grundlage für die anschließende Diskussion darboten. Wie sich herausstellte, waren meine Erfahrungen aus der Lehr- und Lernsituation der 68er mit Abstand weit fortgeschrittener als die, die bei aller Anstrengung nach der politischen Wende bisher möglich erschienen. Zudem gefielen mir die Lernenden und Lehrenden dieses Campus aus dem Geiste der Bauhauslehre – wie ich ihn selbst erfahren hatte –, denen ich zum ersten Mal optisch in einem Vortrag und in der anschließenden Diskussion mit meinem ganzen Sein gegenüberstand.       

Der erahnte Reiz, dass es hier, aus einer neuen Sichtweise, vieles zu tun geben würde gegen die heranwachsenden Abwendungen vom ehrwürdigen Geiste einer „Bauhaus Alma Mater“ – durch fortschreitende Verschulungstendenzen im allgemeinen Hochschulwesen – interessierte mich zusätzlich.

Ein Spannungsfeld zeichnete sich ab, auch in Hinblick auf den hier geforderten Aufbau eines neuen Lehrbereichs des Designs / Innenarchitektur / Architektur.

Aus den auserwählten Personen, die zu Probevorträgen eingeladen wurden, war mir bewusst, dass ich hier, mit meinen dargebotenen Qualifikationen und den gezielt kritisch formulierten Thesen zur Lehre, nur gewinnen – oder alles verlieren – konnte.

Ich wurde berufen!

Dann, im nächsten Schritt an der Hochschule, formulierte ich, neben den diskutierten Thesen zur Lehre, einen Leitsatz zu meinem bevorstehenden Lehrvolumen:

Die Lehre ist so zu gestalten, dass jedes Vorhaben in einen größtmöglichen gesamtgesellschaftlichen Kontext gestellt wird. Dies fordert ein Engagement der Studierenden, fördert die Motivation und schärft den Weitblick. Hieraus kann das nötige Potenzial erwachsen zur Bewältigung der Themen von morgen.

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Preisrichter:in beim traditionellen Seifenkistenrennen in Heiligendamm

Photo in: Hans Meyer Heiligendamm 1950 - 2000 Lehre im Wandel